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Norderney 2023 - Horizontalbohrungen im Nationalpark Wattenmeer

05.10.2023

1 Einleitung

Der Netzausbau in Deutschland nimmt Fahrt auf. Eine wesentliche Rolle spielt dabei die Verschwenkung auf erneuerbare Energieträger. Das erklärte Ziel der Bundesregierung ist die Erreichung der Klimaneutralität bis 2045 – d.h., dass der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromversorgung bis 2045 auf fast 100 % gesteigert werden soll (Klimaschutzgesetz). Aufgrund ihrer Zuverlässigkeit in der Einspeisung soll die Offshore-Windkraft mit 70 GW bis 2045 zu einer wesentlichen Säule der deutschen Energieversorgung ausgebaut werden (Windenergie-auf-See-Gesetz). Dabei braucht es nicht nur neue Offshore-Windparks sondern auch neue Leitungen, die die Offshore-Windparks mit dem deutschen Übertragungsnetz verbinden. Auf ihrem Weg zur Umspannanlage durchqueren die Leitungstrassen zwangsläufig die Inselketten und das Wattenmeer. Angesichts der besonderen Bedeutung dieser Räume für Natur und Umwelt, Küstenschutz und Tourismus gehen mit der Umsetzung der Bauprojekte spezielle Herausforderungen einher.

Zur Unterquerung der Dünen und Deiche auf den Inseln und am Festland hat sich das Horizontalspülbohrverfahren als Mittel der Wahl etabliert. In die eingebrachten Leerrohre werden im Zuge der Kabelinstallation die Energiekabel eingezogen. Mit den Projekten DolWin4 und BorWin4 ist Amprion erstmalig mit den Besonderheiten dieser Anlandungsbaustellen konfrontiert. Gemeinsam mit Ludwig Freytag konnten die Horizontalbohrungen auf Norderney in 2022 und 2023 mit großem Erfolg abgeschlossen werden.

2 Genehmigung und technisches Konzept

Mit dem Offshore-Netzausbau sind die Fachbehörden für Küstenschutz (NLWKN), Umwelt- und Naturschutz (Nationalparkverwaltung) sowie weitere Träger öffentlicher Belange in die Lage versetzt worden, Anforderungen für die Bauarbeiten in diesem sensiblen Naturraum festzulegen. Da die behördlichen Interessen unterschiedlich – in einigen Punkten sogar gegensätzlich sind, stellt sich die Einhaltung aller Anforderungen für Vorhabenträger und Baufirma als sehr herausfordernd dar.

Gemeinsam mit den Maßnahmen zur Kabelinstallation und dem Kabelbetrieb werden die Horizontalbohrungen üblicherweise über einen Planfeststellungsbeschluss für den Abschnitt vom Anlandungspunkt bis zu der 12 Seemeilen-Grenze genehmigt. In diesem Planfeststellungsbeschluss sind die genehmigungsrechtlichen Bestimmungen zur Umsetzung der Bauarbeiten festgeschrieben. Die besonderen Nebenbestimmungen und das technische Konzept für diese Baustelle werden im Folgenden beschrieben.

2.1 Bauzeitenfenster

Eine wesentliche Nebenbestimmung mit Auswirkung auf die Gesamtprojektplanung ist das Bauzeitenfenster, welches bisher grundsätzlich auf Juli bis September festgeschrieben ist. Begründet wird ein Bauverbot im Frühjahr durch die extensive Nutzung der Dünen-, Polder- und Wattflächen durch Brutvögel sowie im Hebst und Winter durch das erhöhte Sturmflutrisiko für die Baubereiche im Deichvorland. Diese bauzeitliche Einschränkung führt üblicherweise zu einer Aufteilung der Baumaßnahmen auf mehrere Jahre. Für die Projekte DolWin4 und BorWin4 wurden in 2022 insgesamt vier Horizontalbohrungen von der Inselmitte nach Norden an den Strand und in 2023 weitere vier Horizontalbohrungen vom selben Bohrplatz nach Süden in das Watt durchgeführt (siehe Abbildung 1). Trotz dieser Aufteilung in Teilprojekte geht aus den bauzeitlichen Zwängen jedes Jahr ein latenter Zeitdruck hervor, da sich mit dem „blanken Hans“ bekannterweise nicht diskutieren lässt.

2.2 Nulleinleitung

Das Nulleinleitungsprinzip entspricht einem Einleitungsverbot sämtlicher Stoffe und Materialien in die Umwelt und wird permanent durch eine naturschutzfachliche Baubegleitung kontrolliert. Das umfasst neben herkömmlichen Abfällen und Zigarettenkippen auch Bentonitstäube und Reinigungsmittel bis hin zur Bohrspülung. Letzteres impliziert auch die Vermeidung von Ausbläsern, was nicht zuletzt wegen der hervorragenden Vorbereitung vollumfänglich funktioniert hat.
Nicht so wie geplant funktioniert hat die Überlaufkontrolle von Tanks. Hier musste leider baubegleitend nachgebessert werden. Verbaute Technik, die in Probeläufen funktioniert hatte, hat dann im Feld leider versagt, konnte aber kurzfristig vor Ort nachhaltig abgestellt werden.

2.3 Schallschutz

Die Baumaßnahme bzw. der Bohrplatz liegt umgeben von mehreren Campingplätzen, mit Abständen von teilweise unter 200 m. Der Sache der Natur folgend haben weder Wohnwagen noch Zelte eine Reputation für einen außergewöhnlichen Schallschutz. Somit bestand der Zwang, lokal selbst bei den Geräuschemissionsquellen Gegenmaßnahmen vorzusehen. Implementiert wurde ein mehrstufiges Schallschutzkonzept, das aus den folgenden wesentlichen Komponenten bestand:

1. Schallschutzwände, 10 m hoch,
2. Einhausung der wesentlichen Geräuschemissionsquellen,
3. Ausgewählte Positionierung von geräuschemittierenden Geräten zur Optimierung des Schallschutzes,
4. Sensibilisierung der Bohrmannschaft zum reduzierten Einsatz geräuschemittierender Geräte.

Als Erfolg sehen sowohl die Bauherrenschaft als auch die Ludwig Freytag Gruppe, dass die Baustelle im 7/24-Betrieb laufen konnte, ohne dass es zu einer einzigen Beschwerde, z. B. von Anliegern oder Touristen gekommen ist.

2.4 Deichschutz

Die Grundsatzforderung des NLWKN ist, die Beeinträchtigung der Deiche und Schutzdünen durch fremde Baumaßnahmen zu minimieren und damit die Deichsicherheit im Sturmflutfall zu jeder Zeit zu gewährleisten. Die Einhaltung dieser Forderung stellt sich je nach Auslegung schwierig dar. In diesem Fall wurde ein Befahrungs- und Berührungsverbot für Fahrzeuge, Rohre und sonstige Baustelleneinrichtung in sämtlichen Deichbereichen gefordert. Diese Forderung stellte sich in verschiedener Form als problematisch heraus. Zum einen mussten die verschweißten Kabelschutzrohrstränge am Westdeich für den Transport an die Austrittspunkte über den Deich in das Wasser gezogen werden. Zum anderen musste zur Umsetzung der Bohrungen notwendigerweise eine temporär oberflächlich ausgelegte Spülungsrückführleitung über dem Grohdedeich ausgelegt werden. Bei beiden Vorgängen sind Geräteeinsätze und Grundberührungen der Leitungen im Deichbereich unvermeidbar. Im Fall der Spülungsrückführleitung kam hinzu, dass eine zwischenzeitlich diskutierte Kompromisslösung zur Trassenführung im Deichbinnengraben an einer naturschutzfachlich schützenswerten Pflanze scheiterte („Ruppia maritima”). Hier zeigt sich besonders die Schwierigkeit, Kompromisslösungen zwischen den Belangen verschiedener Interessensträger zu finden.

Hinzu kommt die Forderung des NLWKN, bei einem angekündigten Wasserstand von 1,25 m über dem mittleren Hochwasserstand innerhalb von 24 h nach der Sturmflutvorhersage sämtliche Pontons, Geräte und Materialien aus dem Watt zu entfernen. Da dies weder technisch machbar noch angesichts der verbleibenden Restarbeiten sinnvoll ist und im Hinblick auf den Bodenschutz auch nicht im Sinne der Nationalparkverwaltung sein kann, wurden hier Alternativkonzepte für derartige Notfallsituationen vorgeschlagen.

Aufgrund einer hohen Flexibilität und konstruktiven Lösungsvorschlägen von Amprion und der Ludwig Freytag Gruppe konnten Kompromisslösungen gefunden werden, die eine Bauausführung schließlich ermöglichten.

2.5 Zugänglichkeit der Wattbaustelle

Die Bohraustrittspunkte der in 2023 durchgeführten Norderney-Süd-Bohrungen liegen im tidebeeinflussten Wattbereich. Aufgrund der Abhängigkeit vom Wasserstand und den besonderen Bestimmungen zum Boden- und Umweltschutz stellt die Zugänglichkeit der Baustelle eine besondere Herausforderung dar.

Aufgrund unterschiedlicher Anforderungen wurden zwei Zuwegungen für unterschiedliche Zwecke eingerichtet: eine landseitige für Personen und eine seeseitige für Material- und Gerätetransporte (siehe Abbildung 1).

Der landseitige Weg führt dabei zwangläufig über den Deich, durch die Salzwiesen und das Watt. Die Überquerung des Deiches durfte dabei nur fußläufig und entlang eines vorgegebenen Deichüberweges erfolgen. Zur Querung der vorgelagerten Salzwiesen wurde analog zu bisherigen Projekten ein temporärer Holzbohlensteg auf einer Lahnung errichtet. Die Anlieferung und Errichtung des Holzbohlensteges durfte dabei nur fußläufig und „per Hand“ erfolgen. Gleichwohl hätte der Steg ab einem Wasserstand von 1,25 m über dem mittleren Hochwasserstand innerhalb von 24 h nach der Sturmflutvorhersage zurückgebaut werden müssen, da eine etwaige Überflutung nach Einschätzung des NLWKN die Standsicherheit und damit auch die Deichsicherheit gefährdet hätte.

Zum Schutz des Wattbodens müssen Boote mit Eigenantrieb eine Nettokielfreiheit von mind. 30 cm einhalten. Dies ist bei Material- und Gerätetransporten aufgrund des entsprechenden Tiefgangs bei den örtlichen Watthöhen auch bei Hochwasser nicht machbar. Daher kam für Material- und Gerätetransporte ein von der Ludwig Freytag Gruppe entwickeltes und etabliertes Fährsystem zum Einsatz. Hierbei wurde ein für Versorgungsschiffe erreichbarer Ponton am Fahrwasserrand platziert, über den mittels Windentechnik ein flachgängiger Ponton von und zu den Arbeitspontons an den Austrittspunkten gezogen werden kann. Da dieser „Fährponton“ keinen eigenen Antrieb besitzt, durfte die Mindestkielfreiheit für den Betrieb auf 10 cm reduziert werden. Dennoch bestand eine wesentliche Aufgabe im Baubetrieb darin, die notwendigen Fährtransporte in Abhängigkeit der verfügbaren Hochwasser-Zeitfenster penibel zu planen.

2.6 Bodenschutz

Da ein Trockenfallen der Rohrstränge vor bzw. beim Rohreinzug unvermeidbar ist, stellt das Auslegen der Rohrstränge im Watt die größte planmäßige Beeinträchtigung für den Wattboden dar.

Hierbei kommt es auf ein gutes Timing des Einschwimmens der Rohrstränge an, damit diese rechtzeitig zum Rohreinzug bereit liegen aber möglichst wenige Niedrigwasserphasen trockenfallen. Nach der Verschleppung an die Austrittspunkte neigen die Rohrstränge in Abhängigkeit von Wind und Strömung dazu, abzudriften. Aufgrund der von der Ludwig Freytag Gruppe entwickelten Technik zum Transport und Fixierung der Rohrstränge im Watt konnten die zwangsläufig auftretenden Bodenschäden minimiert werden. Die in Abbildung 1 und 2 sichtbaren Spuren in der Bildmitte sind auf ein Sturmereignis Anfang August zurückzuführen, bei dem die Rohrstränge unmittelbar vor geplantem Rohreinzug starken Windkräften und Querströmungen ausgesetzt waren.

3 Umweltauswirkungen

Umweltauswirkungen sind durch die Existenz der Baustelle nicht zu vermeiden. Da insbesondere die Teilbaustellen im Start- und Zielbereich der Bohrungen in hochsensiblen Bereichen liegen, wurde ein Konzept erarbeitet und implementiert, das zum Ziel hatte, gar nicht erst wesentliche Umweltschäden oder -veränderungen eintreten zu lassen. Dieses Konzept wurde mit dem Bauherrn und seinen Fachvertretern besprochen, hinterfragt, angepasst und dann ausgeführt. Der Erfolg der Maßnahme hat gezeigt, dass dieser Ansatz richtig war.

3.1 Auswirkung auf Wattflächen

Die Auswirkungen auf den Wattboden wurden während und nach den Bauarbeiten durch Drohnenaufnahmen dokumentiert. In der folgenden Abbildung 2 sind die Spuren im Watt während und unmittelbar nach den Bauarbeiten dargestellt. Dazu sei gesagt, dass auch die deutlichsten Spuren der trockengefallenen Kabelschutzrohre mit wenigen Millimetern Tiefe im Feld kaum erkennbar sind. Gleichwohl zeigt sich, dass auch vermeintlich geringfügige Spuren nicht nach einigen Tidezyklen verschwunden sind, sondern die Regenration erst über einige Wochen bzw. Monate hinweg eintritt. Nach knapp vier Wochen ist allerdings schon eine deutliche Regeneration erkennbar (rechtes Bild). Da die Spuren weder die Fauna noch das Abflussverhalten der Wattflächen wesentlich verändert haben, wird davon ausgegangen, dass die Bauarbeiten in dieser Hinsicht ohne nachhaltige Umweltschäden abgeschlossen werden konnten.

3.2 Bohrkleinwiederverwertung

Der An- und Abtransport von Geräten und Material stellt nicht zuletzt wegen der Insellage eine große Belastung für Klima, Umwelt und Tourismus dar. Es wäre wünschenswert, diesen Fußabdruck zu verringern. Mit über einhundert LKW-Transporten pro Bauphase zum Abtransport des erbohrten Sandes könnte die Wiederverwertung des wertvollen Materials auf der Insel einen erheblichen Beitrag dazu leisten. Hier scheinen aber Abfall- bzw. verwaltungstechnische „Zwänge“ größer als der gesunde Menschenverstand zu sein.

Ärgerlich ist insbesondere unter Beachtung der CO2-Bilanz dieser Maßnahme, dass der erbohrte Sand nach wie vor von der Insel abgefahren werden muss, obwohl lokale Wiederverwertungsmöglichkeiten gutachterlich bestätigt wurden. Gleichzeitig werden mit erheblichem Aufwand Sande aus dem Meer auf den Strand zur Dünensicherung gespült, wo dann Eigenschaften zur Bodenmechanik, Toxikologie, Nährstoffhaushalt und farblicher Erscheinung von sekundärer Bedeutung zu sein scheinen.

4 Resümee

Die Anlandungsbaustelle auf Norderney zeigt die Herausforderungen zwischen den verschiedenen Interessensträgern auf. In der Mitte steht dabei der Vorhabenträger und die beauftragte Baufirma, die schließlich gemeinverträgliche Lösungen finden müssen und dennoch die Verantwortung für den Projekterfolg unter den skizzierten Zwängen tragen.
Durch eine optimale Bauvorbereitung sowie einer offenen und lösungsorientierten Diskussion ist dies Amprion und der Ludwig Freytag Gruppe auf der Baustelle auf Norderney gelungen.

Wir gehen davon aus, dass ein größeres Verständnis bei den Fachbehörden für die Belange des Vorhabenträgers und eine gesamthafte, unvoreingenommene Betrachtung der Bedingungen und Möglichkeiten vor Ort zu weiteren Fortschritten bei der Entwicklung dieser Bauprojekte führen können. Der politische Ausbaupfad wird dies in den kommenden Jahren erforderlich machen.

von Henning Kuchenbuch (Amprion) und Ernst Fengler (LMR Drilling)

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